Pranayama – die Kunst des Atmens
Pranayama beginnt, wenn die Atemübung zu Ende ist
Es ist ein feiner Unterschied – und ein bedeutsamer: Atmen kannst du auch im Stress. Aber Pranayama nicht. Denn Pranayama ist kein „Tun“ mehr. Es ist Lauschen. Lenken. Und: Loslassen.
Viele beginnen ihre Yogapraxis mit Kapalabhati oder Nadi Shodhana, ohne den Körper zuvor in einen aufnahmefähigen Zustand gebracht zu haben. Dabei beginnt jede tiefgreifende Atemarbeit nicht mit dem „Einatmen“, sondern mit dem Loslassen von dem, was sich staut: Spannung, Unruhe, unterdrückte Impulse.
Deshalb ist Apanayama – die Reinigung über Apana – der erste Schritt. Bevor du beginnst, Energie zu lenken, musst du Raum schaffen. Raum im Becken. Raum im Atem. Raum in der Wahrnehmung.
Was blockiert den Fluss von Prana?
Vielleicht hast du schon erlebt, wie schnell ein paar bewusste Atemzüge den Geist beruhigen. Aber warum funktioniert das manchmal – und manchmal nicht?
Weil der Atem auf Hindernisse trifft:
- Verspannungen im Zwerchfell
- Reizüberflutung im Nervensystem
- unterdrückte natürliche Rhythmen: Tränen, Gähnen, Magenknurren …
Apanayama hilft, diese Rhythmen wieder zuzulassen. Und schafft damit die Grundlage für das, was eigentlich passiert, wenn der Atem zur Praxis wird: Die feine Erfahrung von Prana. Nicht nur im Körper – sondern im Raum dazwischen.
Von der Technik zur Erfahrung
In der klassischen Praxis beobachten wir Atemphasen, die wir sonst übergehen: den Übergang zwischen Ein- und Ausatmung. Die Stille vor dem nächsten Atemzug. Den Moment, in dem der Atem geführt wird, ohne dass du atmest.
Diese Übergänge sind kein Beiwerk. Sie sind der Schlüssel.
Wenn du einmal dort verweilst, wo der Atem fast von selbst geschieht – oder ganz still wird – kannst du Prana wirklich spüren: Als Fluss. Als Pulsation. Als Bewusstsein.
Arten von Pranayama – je nach Wirkung
Die klassischen yogischen Texte wie die Hatha Yoga Pradipika oder die Gheranda Samhita beschreiben unterschiedliche Pranayamas – je nachdem, wie sie auf Körper und Geist wirken:
- Erhitzend & aktivierend
z. B. Bhastrika, Kapalabhati
→ regen das Verdauungsfeuer (Agni) an, erhöhen die Energie, wecken Klarheit - Beruhigend & ausgleichend
z. B. Nadi Shodhana, Trikonatmung
→ harmonisieren die Energiekanäle (Ida & Pingala), beruhigen Herzfrequenz und Gedankenaktivität - Kühlend & klärend
z. B. Sitali, Sitkari
→ ideal bei Hitze, innerer Unruhe oder Pitta-Überschuss - Aufbauend & stabilisierend
z. B. Ujjayi
→ stärkt Atemmuskulatur, fördert Präsenz und Zentrierung - Fein & introvertierend
z. B. Viloma, Anuloma-Viloma mit Kumbhaka
→ führen zu tiefer Meditation und zur Erfahrung von Prana jenseits der Form
Diese Einteilung ist kein starres System – sondern eine Einladung, bewusster zu spüren: Wann brauchst du was? Und was wirkt wie?
Und nach der Praxis?
Wenn du nach Nadi Shodhana oder Trikonatmung in Savasana liegst, wirst du es merken. Ein feines Pulsieren unter der Haut. Ein Strömen durch den Rücken. Eine Weite, die nicht durch das Einatmen kommt – sondern durch das Nicht-Mehr-Tun.
Es ist ein Berührtsein von innen, das durch keine Technik erzeugt werden kann. Nur durch Stille.
Breathwork oder Pranayama? Was ist der Unterschied?
In der modernen Atemarbeit (Breathwork) geht es oft darum, emotionalen Druck zu lösen, Spannungen abzubauen oder ein bewusst herbeigeführtes „High“ zu erzeugen. Die Techniken sind oft kraftvoll, laut, manchmal sogar dramatisch – und sie sind sehr effektiv. Sie müssen deshalb unbedingt mit erfahrenen Breathwork-Trainer:innen praktiziert werden.
Pranayama ist leiser. Tiefer. Präziser. Nicht aufgeladen – sondern ausgerichtet.
Im Yoga ist der Atem ein Mittel, um die Bewegungen von Prana bewusst zu lenken – nicht nur im Körper, sondern im Bewusstsein.
Deshalb beginnt Pranayama erst nach der Reinigung, nach dem inneren Stillwerden. Nicht um „etwas zu erleben“ – sondern um zu erkennen, wer da atmet – und warum.
Wusstest du: In unserem Yogazentrum Mödling gibt es jeden Sonntag um 18:00 eine kostenlose Pranayama Einheit. Einfach über den Stundenplan anmelden!