AchtsamkeitTantra Yoga für den Alltag

Tantra Yoga für den Alltag

7 Must-Haves und ein Geheimtipp

Tantra-Yoga – das ist keine Abkürzung zur Erleuchtung. Vielmehr stellt Tantra-Yoga einen tiefgreifenden Prozess der Transformation dar, der alle Lebensbereiche miteinbezieht. Tatsächlich werden im traditionellen Tantra die Praktiken, die wir landläufig als „Yoga“ bezeichnen (Asana, Mudra, Bandha, Mantra usw.), erst dann unterrichtet, wenn gewisse „Must-haves“ solide im Leben integriert sind.

Ich lerne und lehre in der Tradition des nondualistischen Tantra, genauer: des kashmirischen Shivaismus (Kaula und Trika Tradition). Die folgenden Punkte sind inspiriert aus dieser Lehre sowie jahrzehntelanger eigener Praxis und Erfahrung. Diese „Must-haves“ bieten Praktizierenden die Möglichkeit, im eigenen Leben wirklich gegenwärtig zu sein und allen Erfahrungen – ob angenehm oder schmerzhaft – mit wertschätzender Präsenz zu begegnen.

Ja, dieser tantrische Weg kann, konsequent verfolgt, unser Erdendasein in all seinen Facetten bereichern. Und weil unser Dasein die Summe unserer „Alltage“ ist, will ich nun auf diese Must-Haves eingehen, die jede Aufmerksamkeit Wert sind.

1. Vishranti – Entspannung und Regeneration

Vishranti beschreibt die tiefe Regulation und Regeneration von Körper, Geist und Seele. Es beschreibt einen Zustand tiefer Ruhe, eine Fähigkeit von entscheidender Bedeutung für den Prozess der inneren Transformation und spirituellen Entwicklung.

Heute werden wir an einem einzigen Tag mit mehr Informationen konfrontiert als ein Mensch im Mittelalter sein ganzes Leben lang. Unser Alltag kann mitunter auch vollgepackt sein mit beruflichen, privaten und sozialen Aufgaben, die uns manchmal über Kopf und Körper wachsen. Darum kann es einiges an Aufwand bedeuten, die Praxis von Vishranti an den Tag zu legen.

Aus meiner Sicht ist Vishranti der Schlüssel am Beginn des Tantra-Yoga-Weges, und Voraussetzung für eine freudvolle, lebensbejahende persönliche Entwicklung. Ich weiß, häufig passieren große Entwicklungssprünge und Veränderungen oft dann, wenn es keinen anderen Weg mehr gibt, ein Schmerz oder Druck zu groß wird. Vishranti sorgt jedoch dafür, dass wir erkennen, was wirklich zu tun ist und dass wir fähig sind zu handeln, ohne allzu lange auf einer schmerzlichen Ebene zu verweilen.

Merkmale eines Mangels an Vishranti:

Körperliche Anzeichen:

  • Muskelspannung
  • Augenringe und Schlafprobleme
  • Schwaches Immunsystem
  • Unregelmäßiger Appetit, Durchfall oder Verstopfung

Geistig- /Emotionale Anzeichen:

  • Gereiztheit und Überempfindlichkeit
  • Emotionale Instabilität und Stimmungsschwankungen
  • Konzentrationsmangel
  • Vermindertes Interesse an genussvollen Aktivitäten
  • Unzufriedenheit
  • Oberflächlichkeit und erhöhte Fehleranfälligkeit
  • Häufiges Gefühl der Hilflosigkeit
  • Regelmäßiger Gedanke oder Ausspruch „Dafür habe ich keine Zeit“

Alltagstipps für Vishranti :

  • Kognitive Last reduzieren: Vermeide permanente „Sinnesbombardements“ durch Social Media, TV und Nachrichten. Verschließ dich auf keinen Fall vor der Welt, konsumiere Informationen jedoch in sinnvoller Dosis.
  • Yoga Nidra: Mit dieser Technik lernst du, systematisch durch verschiedene Ebenen deines Bewusstseins zu reisen und dabei wahre Ruhe zu erfahren.
  • Gesunder Schlaf: Es ist empfehlenswert, zwischen sieben und neun Stunden pro Nacht in einem kühlen, möglichst dunklen Raum zu schlafen und etwa zwei Stunden vor dem Zubettgehen nichts mehr zu essen und elektronische Geräte auszuschalten.
  • Alkoholkonsum reduzieren: Alkohol gibt oberflächlich den Eindruck der Entspannung, jedoch hindert er den Geist daran, Eindrücke wirklich zu verarbeiten. Unverarbeitete Eindrücke sind früher oder später Hindernisse am spirituellen Weg, da wir sie irgendwann bei einer „Karma-Aufräumaktion“ wieder herausnehmen und verarbeiten müssen.

Vishranti ist ein fortlaufender Prozess, der regelmäßig praktiziert und aktualisiert werden sollte. Je mehr wir unseren Alltag in eine Grundentspannung versetzen, desto nachhaltiger ist unsere Transformation.

2. Sattva  – Klarheit und Reinheit

Sattva, wie in den Yoga- und Ayurveda-Schriften beschrieben, ist eine der drei grundlegenden Qualitäten der Natur. Sie wird durch Klarheit, Reinheit, Einfachheit und Leichtigkeit definiert. Wenn diese Qualitäten wohldosiert vorhanden sind, erfahren wir Gesundheit, Wohlbefinden und eine natürliche Motivation zur spirituellen Praxis. Geraten sie aus dem Gleichgewicht, erleben wir das Gegenteil.

Man könnte sagen, Sattva und Vishranti sind die Basis eines spirituellen Weges. Sie unterstützen einander und machen den Weg frei für die darunter folgenden „Must-Haves“.

Alltagstipps für Sattva:

  • GIGO-Prinzip (Garbage In/Garbage Out): Die meisten lernen den Begriff Sattva im Yoga-Kontext über das Thema Ernährung kennen. Frei nach dem Motto „Du bist, was du isst“ wird schnell klar, dass das, was wir dem Körper zuführen, unser physisches Erscheinungsbild prägt. Nahrung beeinflusst auch unseren Geist subtil. Das Gleiche gilt für jeden geistigen Input. Richten wir die konsumierten geistigen Inhalte danach aus, dass sie unsere Klarheit, Frieden und Inspiration fördern.
  • Sattvig wohnen: Unser Wohnraum beeinflusst Geist und Gemüt. Eine aufgeräumte Wohnung bringt nicht nur Freude beim Nachhausekommen, sondern auch das Gefühl, dass „alles in Ordnung“ ist. Sauberkeit und Einfachheit in unseren Wohnräumen sowie das Vorhandensein von Pflanzen unterstützen ebenfalls die Erhöhung von Sattva.
  • Ausmisten: Eine praktische Möglichkeit, Sattva zu erhöhen, ist es, überflüssigen Besitz aufzuräumen und zu vereinfachen. Lassen wir Dinge los, die uns nicht mehr dienen. Berühmt und erfolgreich ist das Ausmistkonzept der Japanerin Marie Kondo. Sie empfiehlt unter anderem, Gegenstände, die in den letzten Wochen oder Monaten nicht genutzt oder genossen wurden, zu spenden, zu verkaufen oder zu entsorgen.
  • Sattvige Beziehungen: Unsere Beziehungen sollten von Liebe, Respekt und gegenseitiger Unterstützung geprägt sein. Sie fördern das spirituelle Wachstum und tragen zur Entfaltung unseres Potenzials bei. Es ist hilfreich, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen regelmäßig zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie auf einem Fundament von Wohlwollen und Harmonie ruhen.
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3. Abhyasa  – Regelmäßige spirituelle Praxis

Abhyasa bedeutet nicht nur, einmal pro Woche eine Yogastunde zu besuchen, sondern eine persönliche Praxis zu etablieren. Sicher, dafür braucht es Disziplin. Je mehr Vishranti und Sattva  in unserem Leben vorhanden sind, desto eher stellt sich eine regelmäßige, persönliche Praxis jedoch „wie von selbst“ ein. Welche Routine hier guttut, kann am besten eine Lehrerin oder ein Lehrer sagen, der die Erfahrungen, die wir machen wollen, optimalerweise schon gemacht hat. Als Praxiszeit wird minimal 20 Minuten und maximal zwei Stunden am Tag empfohlen. Wenn mehr als 20 Minuten für Meditation verfügbar sind, wird für den Anfang empfohlen, besser zweimal am Tag zu meditieren als einmal eine lange Session einzulegen. Diese Empfehlung entspringt der so genannten „Haushälter“ Tradition im Tantra (das Gegenteil von Rückzug im Vedanta bzw. Patanjali Yoga). Hier ist es wichtig, die eigene Sadhana (Praxis) so effektiv zu gestalten, dass für soziale Verpflichtungen, Arbeit, Familie und Freunde ausreichend Zeit bleibt.

Alltagstipps für eine spirituelle Praxis:

  • Setze realistische Ziele. Starte mit kurzen, regelmäßigen Übungen.
  • Finde eine passende Zeit und richte einen festen Ort für deine Praxis ein.
  • Wähle Übungen, die dir Freude bereiten und nutze hier auch gerne moderne Technologien (Meditations-Apps, angeleitete Yoga-Übungen…).
  • Hab Geduld mit dir.
  • Finde jemanden, mit dem du deine Ziele teilst.
  • Finde einen Lehrer und eine Kula (Gemeinschaft) der du dein Vertrauen schenkst
  • Bleib offen für Veränderungen.

4. Atma-Vicara– Selbstreflexion

Atma-Vicarabedeutet soviel wie „Erforschung des Selbst“. Mögliche Wege von Selbstreflexion können sein: Tagebuch schreiben, achtsamen Beobachten, kreativer oder künstlerischer Ausdruck. Ramana Maharshi legte den Fokus auf die Selbsterforschung mit der Frage „Wer bin ich?“. Sicher, das ist wohl die Frage aller Fragen. Für mich braucht es an dieser Stelle jedoch ein paar Zwischenschritte, denn um überhaupt zu einer möglichen Antwort auf „Wer bin ich?“ zu kommen, muss ich mich im Dialog mit mir selbst mit ganz anderen Gedanken-Konstrukten auseinandersetzen. Es gilt, relevante Lebensfragen auf radikal ehrliche Weise zu untersuchen und ganz in der Realität des eigenen Seins anzukommen, um persönliches Wachstum zu fördern.

10 mögliche Fragen für Atma-Vicara, die ich für sinnvoll erachte:

  • Welche Erfahrungen haben meine Vorstellung von Gut und Böse geprägt?
  • Welche Emotionen finde ich schwierig zu zeigen und warum?
  • Wie gehe ich mit meinen eigenen Fehlern oder Kritik um? Welche Gefühle und Gedanken entstehen?
  • Denke ich häufig negativ oder kritisch über andere Menschen? Wenn ja, woher kommt das?
  • Wie würde sich mein Handeln im Alltag verändern, wenn ich jedes fühlende Wesen als gleichwertig betrachte?
  • Wie beeinflusst die Kultur oder Gesellschaft, in der ich lebe, meine Einstellung zu Fehlern und Lernen?
  • Welche Beziehungen in meinen Leben haben die Zeiten überdauert? Was macht diese Beziehungen so beständig?
  • Welche Veränderungen haben mein Leben besonders geprägt? Und in welcher Form?
  • Wie nehme ich Veränderungen in meinem Körper wahr? Sehe ich diese Veränderungen als Teil eines natürlichen Prozesses oder als etwas, gegen das ich „ankämpfen“ müsste?
  • Welcher Mensch will ich gewesen sein?

5. Bewusste Kommunikation – Ein Weg zu innerem Frieden

Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren“. Diese Worte stammen von Paul Watzlawick und sie drücken aus: Wir leben in Kommunikation, wir sind Kommunikation. Darum gestaltet eine bewusste Kommunikation zwischenmenschliche Verbindungen und vermeidet Missverständnisse. Achtsames Sprechen und Zuhören fördern Verständnis und respektvollen Umgang. Gewiss gibt es vielerlei Modelle, die respektvolle Verständigung verstärken (wie zum Beispiel die Gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg). Mir selbst hilft es jedoch schon, mich immer wieder an diesen drei Aspekten zu orientieren:

Praktische Tipps für bewusste Kommunikation:

  • Aktives Zuhören: Schenke Gesprächspartner:innen volle Aufmerksamkeit und versuche, deren Worte ohne sofortige Reaktion aufzunehmen.
  • Ich-Botschaften: Drücke deine Gefühle und Bedürfnisse klar und ohne Vorwurf aus, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden.
  • Pausen: Halte vor einer Antwort kurz inne, um bewusst zu reagieren und impulsive Reaktionen zu vermeiden.

6. Naturverbundenheit

Viel Grün vor unseren Augen, der Geruch von Wald in der Nase oder Grashalme unter den Fußsohlen – Natur kann für Erdung und Stressabbau sorgen, und das Gefühl „eins zu sein“ verstärken. Die Entfremdung von der Natur ist – wie ich finde – eines der größten Probleme unserer Zeit. Der Ausdruck „ich gehe raus in die Natur“ zeigt bereits eine Trennung auf. Es ist essentiell, sich daran zu erinnern, dass wir nicht nur Teil der Natur sind. Wir sind Natur und können ohne unsere tierische und pflanzliche Umwelt nicht überleben.

Praktische Tipps für Naturverbundenheit:

  • Regelmäßige Naturaufenthalte: Spaziergänge im Wald, am Strand oder in den Bergen.
  • Gartenarbeit: Pflanzen und Pflegen eines Gartens.
  • Barfuß gehen: Barfuß auf natürlichem Boden laufen zur Förderung der Erdung und Verbundenheit.
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7. Spirituelle Gemeinschaft / Kula

Kula ist eine spirituelle Gemeinschaft und spielt eine wichtige Rolle im persönlichen Wachstum. Gemeinschaften bieten Unterstützung, Inspiration und die Möglichkeit, Erfahrungen und Wissen zu teilen. Im Tantra wird die Wichtigkeit eines lebendigen Lehrers oder einer Lehrerin betont, damit lebendiges Wissen weitergegeben werden kann. Noch wichtiger ist jedoch die Kula selbst, da sie einen guten Überblick über die Werte und die Effizienz einer Lehre gibt.

Wie findet man die richtige Kula und den richtigen Lehrer?

  1. Schau dir die anderen Menschen in der Gemeinschaft an:
    • Stimmen die Werte der Mitglieder mit deinen eigenen Werten überein?
    • Passen ihre Lebensweisen und ihr spiritueller Weg zu dem, was du dir für dich selbst vorstellst?
  2. Beurteile die Ergebnisse und erreichten spirituellen Ziele:
    • Stimmen die spirituellen Ziele der Kula-Mitglieder mit deinen überein?
    • Werden die Ziele auf eine Weise erreicht, die du als authentisch und inspirierend empfindest?
  3. Achte auf Erfolge:
    • Gibt es sichtbare Erfolge innerhalb der Gemeinschaft?
    • Werden diese Erfolge auf eine Weise geteilt, die dich motiviert und dir zeigt, dass das System funktioniert?
  4. Beobachte den Umgang der Kula-Mitglieder miteinander:
    • Gehen die Mitglieder respektvoll und unterstützend miteinander um?
    • Gibt es eine Atmosphäre des Vertrauens und der gegenseitigen Hilfe?

Durch diese strukturierte Herangehensweise können wir besser beurteilen, ob eine Kula und ihr Lehrer zu uns passen und uns auf unserem spirituellen Weg unterstützen können.

Geheimtipp: Glaube deinen Gedanken nicht – nimm sie mit Humor

Ein oft unterschätzter, aber äußerst kraftvoller Aspekt des spirituellen Weges im Allgemeinen ist es, den eigenen Gedanken nicht blind zu glauben. Unsere Gedanken können uns leicht in Stress und negative Emotionen verwickeln. Für mich war es besonders hilfreich, von der sprachlichen Ebene – sei es gesprochene oder gedachte Worte – in die präkonzeptionelle direkte Wahrnehmung zu wechseln. So habe ich schnell gelernt, dass die meisten Emotionen aus Gedankenkonstrukten heraus entstehen, die nicht einmal der Realität entsprechen. Im Tantra-Yoga nennen wir diese direkte Wahrnehmung die erste Ebene der Realität.

Alles, was daraus an Gedanken und schlussendlich Worten entsteht, ist nur eine stark verdünnte Version der Wirklichkeit, gefiltert durch unsere Wünsche, Erinnerungen und Erfahrungen. Lerne also, deine Gedanken mit Humor zu betrachten. Diese humorvolle Herangehensweise hat mir persönlich sehr geholfen, eine liebevolle und entspannte Haltung gegenüber mir selbst und meinen Herausforderungen zu entwickeln. Lachen über sich selbst ist schließlich eine der natürlichsten und heilsamsten Formen für einen entspannten und freudvollen Alltag.

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Autorin:

Birgit Gauriananda Pöltl

Birgit leitet gemeinsam mit Florian Reitlinger die Akshara Akademie und das angeschlossene Yogazentrum Mödling und bildet seit fast 20 Jahren Yogalehrer:innen aus. Sie ist zertifizierte Anusara® Yogalehrerin und lernt und lehrt in der tantrischen Philosophie des Kashmir Shivaismus.

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